Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die
Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen
Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende
Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main
(OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über
den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte
das betreffende Kind bereits ganz klare
Vorstellungen zum getrennten Familienleben.
Es ging um ein siebenjähriges Mädchen, das als
Zweijährige nach der Trennung der Eltern beim
Vater auf dessen Bauernhof wohnen blieb, während die
Mutter weiter weg zog. Anfangs hatte die Mutter
alle 14 Tage Umgang an einem kurzen Wochenende.
Schließlich zog die die Mutter wieder in die Nähe
des Vaters und wünschte sich ein paritätisches
Wechselmodell. Zunächst bekam sie einen erweiterten
Umgang; 14-tägig freitags bis dienstags, schließlich
bis mittwochs. Der Vater meinte, dies würde
ausreichen, und betonte, dass es für das Kind
wichtig sei, einen Lebensmittelpunkt zu haben.
Das mit der Sache zuerst befasste Amtsgericht stellte
jedoch fest, dass der im Laufe des Verfahrens
ausgedehnte Umgang nicht zu einer Überforderung des
Kindes geführt habe. Es sei mit beiden
Familiensystemen (Stiefeltern, Stiefgeschwister,
Großeltern) vertraut und komme damit zurecht. Die
abstrakte Forderung des Kindesvaters nach einem
Lebensmittelpunkt reiche nicht aus, um ein
Wechselmodell in Frage zu stellen. Der
Verfahrensbeistand unterstützte die Mutter: Das Wechselmodell
erhöhe die Erziehungskontinuität zu beiden Eltern. Es
führe bei dem Kind zu mehr emotionaler Stabilität
und Sicherheit, bei beiden Eltern leben zu dürfen, und
gewährleiste eine gedeihliche
Identitätsentwicklung. Auch das Jugendamt hatte sich
für ein Wechselmodell ausgesprochen, weil die gute
Bindung zu beiden Elternteilen hierdurch
gleichermaßen gepflegt und gefördert werden könne.
Auch für das OLG war das Wechselmodell die dem Wohl
des Kindes am besten entsprechende
Umgangsregelung. Keine Voraussetzung für die
Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ist
nämlich, dass sich die Kindeseltern über die Wahl
dieses Betreuungsmodells einig sind.
Hier gab es zu beiden Eltern eine sichere Bindung
und bei der Mutter auch schon erlebten Alltag. Das
Mädchen habe begeistert von ihrem Leben in beiden
Haushalten und den jeweiligen Urlauben mit beiden
Elternfamilien berichtet. Hierbei kamen keinerlei
Präferenzen für das Leben in dem einen oder dem
anderen Haushalt zum Ausdruck. Sie vermisse jeweils
den Elternteil, bei dem sie sich gerade nicht
aufhalte. Wenn für das Kind nach seinen Bekundungen
beide Elternteile gleichermaßen von Bedeutung
sind, dann ist es nur folgerichtig, wenn diese
Bindung an beide Elternteile mit einer paritätischen
Betreuung gestärkt und aufrechterhalten wird. Die
organisatorischen Schwierigkeiten seien überschaubar
und nicht viel höher als beim jetzigen Modell. Nach
Ansicht des OLG überwiegen die Vorteile des
Wechselmodells. Die Auffassung des Kindesvaters, das
Kind benötige einen Lebensmittelpunkt, werde
nicht durch human- oder sozialwissenschaftliche
Forschungsergebnisse abstrakt gestützt. Positiv war die
Feststellung, dass beim Kind kein Loyalitätskonflikt
erkannt werden konnte. Die erforderliche
grundlegende Kommunikations- und
Kooperationsfähigkeit der Kindeseltern war vorhanden.
Hinweis: In der Praxis sind es zumeist die Väter, die
statt eines Wochenend- oder erweiterten
Umgangs ein Wechselmodell einklagen. Dabei scheitert
das Wechselmodell in der Regel an der
Hochkonflikthaftigkeit der Eltern und dem darauf
beruhenden Loyalitätskonflikt der Kinder, ohne dass es
darauf ankommt, wer den Konflikt verursacht.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 26.10.2021 - 6 UF
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